Von Machtverhältnissen im Weltall und Kochbüchern mit Viren – wie wir im GRASSI Museum Zukünfte erkundeten
28.05.2025

Wer den Blick in die Zukunft richten möchte, um sowohl plausible als auch überraschende Szenarien zu entdecken, unser oftmals unreflektiertes Zusammenleben mit der Natur kritisch zu hinterfragen und tief in die Welt neuer, zukunftsweisender und nachhaltiger Materialien und Verfahren einzutauchen, der findet eine reichhaltige Quelle der Inspiration in der aktuellen Sonderausstellung „Zukünfte“ des GRASSI Museums für Angewandte Kunst in Leipzig. Diese thematisch breit gefächerte Ausstellung greift auf innovative Weise den zentralen 4transfer-Gedanken auf, der einen verstärkten interdisziplinären Austausch über verschiedene Fachbereiche hinweg anstrebt. Aus dieser übergeordneten Idee heraus entstand der konkrete Gedanke, einen exklusiven Rundgang zu konzipieren und zu organisieren, der den teilnehmenden Besucher:innen vor allem Einblicke in die verborgene konzeptionelle Vorarbeit und die Begegnung der unterschiedlichen an den einzelnen Exponaten beteiligten Disziplinen bieten sollte.
In einem circa anderthalbstündigen, lebendigen und äußerst informativen Rundgang vermittelte die Kuratorin der Ausstellung, Silvia Gaetti, den Teilnehmer:innen einen tiefgreifenden und facettenreichen Einblick in den oft verschlungenen Entstehungsprozess der präsentierten Werke sowie in die immense Kraft der angewandten Kunst, selbst abstrakte Ideen und komplexe Informationen auf eine unmittelbar erfahrbare und somit zugänglichere Weise zu vermitteln.
Die thematische Bandbreite der Ausstellung erstreckte sich über mehrere Erlebnisräume von einem ungewöhnlichen Kochbuch, das die bereits entdeckten Viren auf überraschende Weise als integralen Bestandteil des täglichen Lebens interpretiert und näherbringt, über faszinierende Kleider, deren textile Grundlage aus zukunftsweisendem, algenbasiertem Leder gefertigt wurde, bis hin zu beeindruckenden 3D-gedruckten Stühlen, auf deren Oberflächen Moose und Pilze in einer bemerkenswerten Symbiose gedeihen und so auf eindrückliche Weise ein neues Gefühl dafür vermitteln, dass wir die Zukunft nicht länger ausschließlich aus einer rein humanzentrierten Perspektive denken oder gar kontrollieren können. Vielmehr wird deutlich, dass wir unsere unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven zusammenführen müssen, um die Zukunft auch unter sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen zumindest aktiv mitgestalten zu können.
Das innovative Ausstellungskonzept richtet sich bewusst an eine breitere Öffentlichkeit und somit an potenziell mehr Besucher:innen als an ein rein kunsttheoretisch versiertes Fachpublikum. Dieser integrative Ansatz spiegelte sich unter anderem in der sorgfältigen Inszenierung der Exponate wider. So wurde beispielsweise großer Wert darauf gelegt, die ungewöhnlichen Materialien auf einem eigens dafür gestalteten „Anfasstisch“ taktil erfahrbar zu machen und auf diese Weise auf einer sinnlichen Ebene zugänglich zu gestalten. Darüber hinaus wurden auch andere Sinne gezielt angesprochen, etwa indem simuliertes Marsgestein probiert werden konnte und komplexe digitale Arbeiten in nachvollziehbare, immersive Räume übersetzt wurden, um so ein tieferes Verständnis zu ermöglichen.
Für 4transfer erwies sich der Besuch der Sonderausstellung als ein überaus wertvoller fachlicher Austausch, da auch wir im Rahmen unseres Formats „Pop Up Science“ einen thematisch ähnlichen und partizipativen Ansatz verfolgen, der darauf abzielt, wissenschaftliche Inhalte auf innovative und zugängliche Weise zu vermitteln. Für die teilnehmenden Besucher:innen lag die Erkenntnis auf der Hand, dass insbesondere die potenzielle Anwendbarkeit der gezeigten Innovationen in der Industrie eingehend bedacht werden sollte und dass Vertreter:innen aus diesem Sektor in solchen inspirierenden Ausstellungen wertvolle und anschauliche Beispiele für zukünftige Entwicklungen finden können. Eine neue Zukunft entsteht durch die Erkundung dieser Potenziale im multidirektionalen Austausch.
Die gewonnenen Learnings aus dem Ausstellungsbesuch waren vielfältig und erstreckten sich über verschiedene Bereiche. So wurde beispielsweise deutlich, dass eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen ein spürbares, aktivistisches Innovationspotenzial freisetzen kann. Zudem wurde die Bedeutung der frühzeitigen Einbindung von Hochschulen betont, um diese zu ermutigen, ihre Lehrveranstaltungen und Seminare gezielt an aktuellen Fokusthemen auszurichten und somit den Wissenstransfer zu beschleunigen. Die Themen für studentische Projekte können vielfältig sein und sowohl aus den Reihen der Hochschule selbst als auch von externen Institutionen und Organisationen aus dem breiten gesellschaftlichen Spektrum oder von Industriepartnern eingebracht werden. Dies ermöglicht eine thematische Diversität, die von rein wissenschaftlichen Fragestellungen bis hin zu anwendungsbezogenen Herausforderungen aus der Praxis reichen kann. Das GRASSI Museum setzte zum Beispiel in einem Ausstellungsabschnitt einen Fokus auf Insekten, indem es Abfallprodukte der Madenzucht als Chance für die Weiterverwertung in der Industrie thematisierte. Dies fand seine Fortsetzung in einem Seminar der Burg Giebichenstein, in dem Studierende diese Thematik in Prototypen übersetzten. Ein weiteres wichtiges Learning bestand darin, dass durch die kreative Verarbeitung von relevanten Forschungsthemen durch innovative Designer:innen auch ein wertvoller, rekursiver Transfer von Erkenntnissen ermöglicht werden kann, wie das inspirierende Beispiel der Zusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer Institut und Designer:innen im Bereich Speculative Futures eindrücklich veranschaulichte.